In wie weit genügen die bisherigen Lichttheorien den Anforderungen der praktischen Physik? (Q1530168)

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In wie weit genügen die bisherigen Lichttheorien den Anforderungen der praktischen Physik?
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    In wie weit genügen die bisherigen Lichttheorien den Anforderungen der praktischen Physik? (English)
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    1892
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    Für das ``praktisch-physikalische'' Bedürfnis kommt es nicht sowohl auf die theoretische Herleitung eines ``Erklärungssystems'' [so nennt der Verfasser die für ein gewisses Gebiet optischer Erscheinungen geltenden Differentialgleichungen nebst den zugehörigen Grenzbedingungen an, als darauf, dass dasselbe eine Klasse von Erscheinungen bequem zu beschreiben, sowie numerische Beziehungen zwischen verschiedenen Erscheinungen abzuleiten gestattet. Herr Drude untersucht nun in der vorliegenden Abhandlung, wie weit die bisher aufgestellten Theorien jenen Anforderungen für einzelne Gebiete optischer Erscheinungen genügen, und stellt die dadurch gewonnenen, so zu sagen sicher fundirten, Erklärungssysteme zusammen. Enthält diese Zusammenstellung auch manches Bekannte, so sind doch viele Resultate neu; jedenfalls ist die Frage in der Vollständigkeit wie hier noch nirgends behandelt. Für durchsichtige isotrope Medien wird ein experimentell sicher begründetes Erklärungssystem durch die Differentialgleichungen \[ (2)\qquad \frac{\partial^2 u}{\partial t^2}=a\varDelta u=a\left(\frac{\partial \eta}{\partial z}-\frac{\partial\xi}{\partial y}\right)\quad \text{etc.} \] gebildet, verbunden mit den Grenzbedingungen \[ (3)\qquad u_1 = u_2,\quad v_1 = v_2,\quad a_1\xi_1 = a_2\xi_2,\quad a_1\eta_1=a_2\eta_2 \] oder \[ (3')\quad u_1= u_2,\quad v_1 = v_2,\quad \xi_1=\xi_2,\quad \eta_1=\eta_2. \] Darin sind \(u\), \(v\), \(w\) die senkrechten Componenten eines periodisch mit der Zeit sich ändernden Vectors. \(\xi\), \(\eta\), \(\zeta\) die Componenten eines andern Vectors, der mit dem vorigen durch die Gleichungen \[ \xi=\frac{\partial w}{\partial y}-\frac{\partial v}{\partial z}\quad\text{etc.} \] zusammenhängt. Die Indices 1 und 2 beziehen sich auf zwei Medien, deren Trennungsfläche die Ebene \(z=0\) ist. Das System (2) in Verbindung mit (3) entspricht der Neumann'schen, (2) zusammen mit \((3')\) der Fresnel'schen Theorie. Man gelangt von den Neumann'schen Grenzbedingungen (3) zu den Fresnel'schen \((3')\), wenn man nicht \(u\), \(v\), \(w\), sondern \(a\xi\), \(a\eta\), \(a\zeta\) als Componenten des Lichtvectors interpretirt. Ebenso wird man umgekehrt von den Grenzbedingungen \((3')\) zu den Bedingungen (3) geführt, wenn nicht \(u\), \(v\), \(w\), sondern \(\xi\), \(\eta\), \(\zeta\) als Componenten des Lichtvectors angesehen werden. Beide Arten von Bedingungen lassen sich aus dem Energieprincip in Verbindung mit dem Princip der Continuität der beiden der Grenze parallelen Componenten des Lichtvectors herleiten; beide verlieren aber dadurch nicht den Charakter des Hypothetischen. Denn man kann die Grenzbedingungen nur dann in einer bestimmten Form aus jenen beiden Principien ableiten, wenn man eine bestimmte Voraussetzung darüber macht, durch welche Formel die Energie der Lichtbewegung oder wenigstens ein Teil derselben, z. B. die kinetische, ausgedrückt wird. In der That folgt in der einen Theorie der kinetische Vector, d. h. der, mit dessen Verschwinden die kinetische Energie verschwindet, den Neumann'schen, der potentielle Vector den Fresnel'schen Gesetzen, während in der anderen Theorie gerade das Umgekehrte stattfindet. Ein Grund, eine der beiden Theorien vor der anderen zu bevorzugen, ist nicht vorhanden, da nicht mit Sicherheit zu entscheiden ist, welche physikalische Bedeutung die Constante \(a\) hat. Um die Dispersion durchsichtiger Substanzen zu erklären, muss man den Gleichungen (2) Zusatzglieder hinzufügen, herrührend von der Einwirkung der ponderablen Teilchen. Diese Zusatzglieder sind als Reihenentwickelungen aufzufassen, welche convergiren, so lange die Schwingungsdauer des Lichtes nicht mehr mit einer Eigenschwingungs-Dauer der Materie zusammenfällt. Die durch die Zusatzglieder erweiterten Differentialgleichungen lauten in der Neumann'schen Theorie: \[ \begin{aligned} (2^{\prime\prime\prime})\qquad & \frac{\partial^2 u}{\partial t^2}=a'\varDelta u+a''\;\frac{\partial^2\varDelta u}{\partial t^2}+a^{\prime\prime}\;\frac{\partial^2\varDelta u}{\partial t^2}+a^{\prime\prime\prime}\;\frac{\partial^4\varDelta u}{\partial t^4}+\cdots,\\ & \hdotsfor1\end{aligned} \] in der Fresnel'schen dagegen \[ \begin{aligned} (2^{\prime\prime\prime\prime})\qquad & \frac{1}{a'}\;\frac{\partial^2u}{\partial t^2}+\frac{1}{a^{\prime\prime}}\;\frac{\partial^4 u}{\partial t^4}+\frac{1}{a^{\prime\prime\prime}}\;\frac{\partial^6u}{\partial t^6}+\cdots=\varDelta u,\\ & \hdotsfor1\end{aligned} \] Auch das Formelsystem der elektromagnetischen Lichttheorie \[ (4)\qquad A\mu\;\frac{\partial L}{\partial t}=\frac{\partial Z}{\partial y}-\frac{\partial Y}{\partial z}\,,\quad A\varepsilon\;\frac{\partial X}{\partial t}=\frac{\partial M}{\partial t}=\frac{\partial M}{\partial z}-\frac{\partial N}{\partial y}\,, \] verbunden mit den Grenzbedingungen \[ (5)\qquad L_1=L_2,\quad M_1 = M_2,\quad X_1=X_2,\quad Y_1=Y_2\quad \text{für}\quad z = 0, \] stellt die Lichterscheinungen in isotropen Medien dar. Interpretirt man die magnetischen Kraftcomponenten \(L\), \(M\), \(N\) als Componenten des Lichtvectors, so folgen die Resultate der Neumann'schen Theorie, während man, wenn man die elektrische Kraft \((X, Y, Z)\) als Lichtvector deutet, auf die Fresnel'schen Resultate geführt wird. Zur Erklärung der Dispersion muss man die Gleichungen (4), in denen \(\mu=1\) gesetzt werden kann, folgendermassen erweitern: \[ (4')\qquad \begin{cases} \qquad \qquad A\;\frac{\partial L}{\partial t}=\frac{\partial Z}{\partial y}-\frac{\partial Y}{\partial z}\,,\dots\\ A\left(\varepsilon\;\frac{\partial X}{\partial t}+\varepsilon' \frac{\partial^3 X}{\partial t^3}+\varepsilon^{\prime\prime}\;\frac{\partial^5X}{\partial t^5}+\cdots\right)=\frac{\partial M}{\partial z}-\frac{\partial N}{\partial y}\,.\\ \dotfill\end{cases} \] Die Grenzbedingungen (5) sind mit dem Energieprincip vereinbar. Die erweiterte. Form \((4')\) beseitigt die Widersprüche, welche gegen die ursprünglichen Formeln der elektromagnetischen Theorie erhoben werden können. Für absorbirende isotrope Medien erhält man ein sicher begründetes Erklärungssystem, wenn man in den Gleichungen (2) der Constante \(a\) complexe Werte beilegt. Will man für derartige Medien auch die Dispersion berücksichtigen, so muss man auf der rechten Seite der Gleichungen \((2^{\prime\prime\prime})\) weitere Zusatzglieder von der Form \[ b\;\frac{\partial\varDelta u}{\partial t}+b'\;\frac{\partial^3\varDelta u}{\partial t^3}+\cdots \] hinzufügen, dagegen auf der linken Seite von \((2^{\prime\prime\prime\prime})\) Glieder der Form \[ -\frac{1}{b}\;\frac{\partial u}{\partial t}-\frac{1}{b'}\;\frac{\partial^3u}{\partial t^3}-\cdots\,. \] Die Grenzbedingungen bleiben dieselben wie für durchsichtige Körper. Die Formeln der elektromagnetischen Lichttheorie für leitende Körper lauten: \[ \begin{aligned}(16)\qquad & A\;\frac{\partial L}{\partial t}=\frac{\partial Z}{\partial y}-\frac{\partial Y}{\partial z}\,,\quad A\varepsilon\;\frac{\partial X}{\partial t}=\frac{\partial M}{\partial z}-\frac{\partial N}{\partial y}-4\pi\lambda AX,\\ &\dotfill\end{aligned} \] Mit den Grenzbedingungen (5) verbunden, liefern diese Gleichungen dieselben beiden möglichen Erklärungssysteme der Metalloptik wie die mechanischen Theorien. Die den Gleichungen \((4')\) entsprechende Erweiterung des Erklärungssystems absorbirender Medien besteht darin, dass an Stelle der Gleichungen (16) die Gleichungen \[ (16^{\prime\prime})\qquad \begin{cases} \qquad\qquad A\;\frac{\partial L}{\partial t}=\frac{\partial Z}{\partial y}-\frac{\partial Y}{\partial z}\\ \qquad\qquad \dotfill\\ \text{und}\\ A\left(\varepsilon\;\frac{\partial X}{\partial t}+4\pi\lambda X\right)=\frac{\partial M}{\partial z}-\frac{\partial N}{\partial y}+\frac{p}{A}\;\varDelta X\\ \hdotsfor1\end{cases} \] treten. Diese Gleichungen stellen in Verbindung mit den Grenzbedingungen (5) die Beobachtung befriedigend dar. Für durchsichtige Krystalle nimmt der Verfasser den Ausgangspunkt von der elektromagnetischen Lichttheorie. Die Grundgleichungen sind hier: \[ (27)\qquad \begin{cases} \qquad\qquad A\;\frac{\partial L}{\partial t}=\frac{\partial Z}{\partial y}-\frac{\partial Y}{\partial z},\cdots\,.\\ A\left(\varepsilon_{11}\;\frac{\partial X}{\partial t}+\varepsilon_{12}\;\frac{\partial Y}{\partial t}+\varepsilon_{13}\;\frac{\partial Z}{\partial t}\right)=\frac{\partial M}{\partial z}-\frac{\partial N}{\partial y}\,,\\ \dotfill\end{cases} \] wozu wieder die Grenzbedingungen (5) kommen. Fasst man die magnetische Kraft als Lichtvector auf, setzt also \(u=L\), \(v=M\), \(w = N\), setzt ferner \[ \frac{\partial M}{\partial z}-\frac{\partial N}{\partial y}=-\xi\quad \text{etc.} \] und \[ G=a_{11}\xi^2+a_{22}\eta^2+a_{33}\zeta^2+2a_{33}\zeta^2+2a_{23}\eta\zeta+2a_{31}\zeta\xi+2a_{12}\xi\eta, \] wo \(A^2.a_{hk}=b_{hk}\) die Coefficienten von \(\xi\), \(\eta\), \(\zeta\) sind, die sich bei der Auflösung des zweiten Systems (27) nach \(\frac{\partial X}{\partial t}\), \(\frac{\partial Y}{\partial t}\), \(\frac{\partial Z}{\partial t}\) ergeben: so wird man genau auf die Kirchhoff'schen Gleichungen geführt (cfr. F. d. M. VIII. 1876. 647 ff., JFM 08.0647.03). Um die Fresnel'sche Auffassung zu erhalten, kann man entweder \[ (33)\qquad u = X,\quad v = Y,\quad w = Z \] oder \[ (33')\qquad u=\varepsilon_{11}X+\varepsilon_{12}Y+\varepsilon_{13}Z, \] setzen. Die Annahme \((33')\) führt auf ein System Differentialgleichungen von der Form \[ \begin{aligned} (38)\qquad & \frac{\partial^2u}{\partial t^2}=\frac{\partial}{\partial z}\left(\frac{\partial^2H}{\partial z\partial u}-\frac{\partial H}{\partial x\partial w}\right)-\frac{\partial}{\partial y}\left(\frac{\partial^2H}{\partial x\partial v}-\frac{\partial^2H}{\partial y\partial u}\right)\,,\\ & \dotfill\end{aligned} \] wo \[ 2H=a_{11}u^2+a_{12}v^2+a_{33}w^2+2a_{23}vw+2a_{31}wu+2a_{12}uv \] ist Damit sind die Grenzbedingungen zu verbinden: \[ (39)\begin{cases} \qquad\left(\frac{\partial H}{\partial u}_1\right)=\left(\frac{\partial H}{\partial u}\right)_2,\,,\;\left(\frac{\partial H}{\partial v}\right)_1=\left(\frac{\partial H}{\partial v}\right)_2\,,\\ \left(\frac{\partial^2 H}{\partial y\partial w}-\frac{\partial^2H}{\partial z\partial v}\right)_1=\left(\frac{\partial^2 H}{\partial z\partial v}-\frac{\partial^2H}{\partial z\partial v}\right)_2,\,,\\ \left(\frac{\partial^2 H}{\partial z\partial u}-\frac{\partial^2H}{\partial x\partial w}\right)_1=\left(\frac{\partial^2 H}{\partial z\partial u}-\frac{\partial^2H}{\partial x\partial w}\right)_2,\,.\end{cases} \] Diese Grenzbedingungen, fallen wahrscheinlich, mit den von Cornu [Ann. d. Chim. (4) XI. 1867] aufgestellten zusammen. Während die vorstehenden, aus der Annahme \((33')\) abgeleiteten Gleichungen auf streng transversale Wellen führen, ergiebt sich aus der Annahme (33) diejenige Form der Differentialgleichungen und Grenzbedingungen, auf welche die Theorien von Sarrau [Liouv. J. (2) XII. 1867] und Boussinesq [Liouv. J. (2) XIII, cf. F. d. M. I. 1868. 367, JFM 01.0367.01] führen, wenigstens wenn man in letzterer Theorie von der longitudinalen Welle abstrahirt. Die Schwingungen sind für die letzte Annahme nicht streng transversal. Hiernach lassen sich also die Gesetze der Krystalloptik durch drei verschiedene, gleich berechtigte Erklärungssysteme darstellen. Für absorbirende Krystalle gilt ein Gleichungssystem, das sich aus (27) durch ähnliche Zusatzglieder ergiebt, wie (16) aus (4). Das einfache Erklärungssystem für natürliche active Medien ist \[ \begin{aligned} (44)\qquad & \frac{\partial^2 u}{\partial t^2}=a\varDelta u+\sigma\xi,\quad \xi=\frac{\partial w}{\partial y}-\frac{\partial v}{\partial z}\,,\\ &\dotfill\end{aligned} \] Die Grenzbedingungen sind entweder, der Neumann'schen Anschauung entsprechend, \[ (49)\qquad u_1 = u_2,\quad v_1=v_2,\quad a_1\xi_1+\sigma_1u_1=a_2\xi_2+\sigma_2u_2 \] \[ a_1\eta_1+\sigma_1v_1=a_2\eta_2+\sigma_2v_2 \] oder, den Fresnel'schen Vorstellungen entsprechend, \[ (49')\qquad u_1 = u_2,\quad v_1 = v_2,\quad \xi_1 = \xi_2,\quad \eta_1=\eta_2. \] Vor dem MacCullagh'schen System, bei dem in dem Gleichungen (44) rechts \(\varDelta\xi\) statt \(\xi\) steht, verdient das System (44) den Vorzug. Bei Zugrundelegung der Vorstellungen der elektromagnetischen Theorie nämlich kann man das System (44) mit dem Energieprincip in Uebereinstimmung bringen, das MacCullagh'sche System aber nicht. Nachdem noch gezeigt, wie man die für durchsichtige Krystalle geltenden Formeln zu erweitern hat, um die Erscheinungen in activen Krystallen zu erklären, wird zum Schluss die Polarisation des gebeugten Lichtes besprochen und erörtert, weshalb die Beugungsphänomene ebenso wenig wie irgend welche anderen Experimente zwischen der Neumann'schen und Fresnel'schen Grundanschauung eine Entscheidung herbeizuführen vermögen. Was die theoretische Herleitung der besprochenen Erklärungssysteme betrifft, so zeigt sich, dass wohl oft dieselbe nach rationellen Principien möglich ist, dass aber diese Art der Herleitung noch nicht den Stempel der notwendigen Richtigkeit trägt. Als besten Pfadfinder hat sich bisher die elektromagnetische Lichttheorie bewährt. Als vollkommen kann man freilich auch diese Theorie nicht betrachten, da sie ebenso wenig wie die älteren mechanischen Theorien im Stande ist, von wenigen, dem Experimente entnommenen Hypothesen aus sämtliche Erscheinungen in mathematisch zwingender Weise abzuleiten.
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