Motive und Probleme der Arithmetisierung der Mathematik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts -- Cauchys Analysis in der Sicht des Mathematikers Martin Ohm. (Motives and problems of the arithmetization of mathematics of the first half of the 19th century -- Cauchy's analysis seen by the mathematician Martin Ohm) (Q1088976)

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Motive und Probleme der Arithmetisierung der Mathematik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts -- Cauchys Analysis in der Sicht des Mathematikers Martin Ohm. (Motives and problems of the arithmetization of mathematics of the first half of the 19th century -- Cauchy's analysis seen by the mathematician Martin Ohm)
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    Motive und Probleme der Arithmetisierung der Mathematik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts -- Cauchys Analysis in der Sicht des Mathematikers Martin Ohm. (Motives and problems of the arithmetization of mathematics of the first half of the 19th century -- Cauchy's analysis seen by the mathematician Martin Ohm) (English)
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    1987
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    Kapitel 1 ist eine Fallstudie zu einem von S.-D. Poisson 1811 gefundenen Paradoxon. Bei \(y=(2 \cos x)^ m\) hatten Euler für spezielle m, Lagrange 1801 durch geeigneten Ansatz zur Differentialgleichung \(my \sin x+y'\cos x=0\) für reelle m Entwicklungen nach den cos(m-k)x, \(k=0,1,2,...\), angegeben. Poisson setzte \(x=\pi\) bei \(m=1/3\) und bemerkte, daß die Reihensumme verschieden ist von den drei möglichen Werten von (2 cos x)\({}^ m\). Die mehr als zwanzig Jahre währende Debatte, an der sich alle namhaften Analytiker beteiligten, ist von Burkhardt [Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften (1904-1916), pp. 837-857] besprochen worden. Mit ihm darf man annehmen, daß die Diskussion mit dazu beitrug, die Neubegründung der Analysis durch Cauchy ab 1821 zu veranlassen: Verbot divergenter Reihen, Beschränkung der Funktionen auf eindeutige, Stetigkeit als Grundbegriff, Beschränkung der Gleichheit \(f(x)=g(x)\) auf Wertgleichheit (Verf.: arithmetische Gleichheit, wohl zur Erläuterung des Terminus Arithmetisierung) und Zurückweisung der ''syntaktischen'' Gleichheit, bei der g(x) eine formale Entwicklung (Euler) von f(x) sein kann. In seiner Einleitung bezeichnet Verf. diese als die ''begrifflichen Probleme'' und erläutert das bei ihm häufige Wort ''Vielschichtigkeit'' damit, daß jene Probleme verknüpft waren ''mit allgemeineren Fragen danach, wie man algebraische Formeln zu interpretieren hat. Auch unterschiedliche Auffassungen darüber, was eine mathematische Theorie leisten solle, spielten eine Rolle''. Kapitel 2 befaßt sich mit Ohm und seinem System (ab 1822), insbesondere mit dessen hier als Verallgemeinerungen bezeichneten Auffassungen des Gleichheitsbegriffs. Ohm läßt formale (syntaktische) Gleichheiten zu, auch bei Reihenentwicklungen, will aber nur bei Konvergenz daraus auf Wertgleichungen schließen. Die binomische Formel faßt er als einen vieldeutigen algebraischen Ausdruck auf. Seine Behandlung des Poissonschen Paradoxons (1823) wird in Kapitel 3 dargestellt, gefolgt von Abels Untersuchungen (1826), welche auf die Funktion führten, die durch die Reihe (wertgleich) dargestellt wird. Weitere Arbeiten werden kursorisch erwähnt; leider wird die von Cauchy nicht ausführlich gewürdigt, und es fehlt auch die Sicht Ohms dazu, obwohl der Titel beides erwarten läßt. Hingegen wird festgestellt, daß Cauchy das (ja doch an sich relativ unwichtige) Paradoxon im Cours nicht behandelte. Kapitel 4 behandelt die ''Vielschichtigkeit''. Ohm kritisiert Cauchy u. a. deswegen, weil dessen Vorgehen zu restriktiv war, und weil er die erfolgreiche Praxis der Mathematiker zu rechtfertigen sucht. Verf. geht ausführlich auf die ''Sichtweisen des Funktionsbegriffs'' ein. Er unterschiebt Cauchy die spätere \(\epsilon\)- \(\delta\)-Definition der Stetigkeit, die er allerdings bei Ohm 1822 (übrigens ähnlich zu Bolzano 1817) findet. Er bemerkt, daß Ohm den Stetigkeitsbegriff nicht als Beweisprinzip erkannt habe, was sich gerade bei dessen Einsatz für die Charakterisierung von Funktionen durch Funktionalgleichungen deutlich bemerkbar mache. Letztere scheint Verf. übrigens für wesentliche Bestandteile des von ihm oft so genannten Ansatzes von Cauchy zu halten, doch stammt die Methode, gerade auch bei der Binomialreihe für rationale Exponenten, von Euler. Die Konvergenz und seinen Stetigkeitsbegriff hat Cauchy hinzugefügt, um reelle Exponenten zu erfassen. Verf. resümiert: Formel (bei Ohm) versus Begriff (bei Cauchy). Er will dem Begriff der stetigen Funktion eine Loslösung von der möglichen Repräsentation sehen. Im Kapitel 5 wird - ohne weiteren Rückgriff auf Ohm - ''Die Rezeption der Cauchyschen Analysis in Deutschland'' untersucht. Als elementarisierende Rezeption z. B. bei Schlömilch und Grunert wird die Reduktion Cauchys auf Methoden des sicheren Rechnens genannt. Im Vergleich zur Weitschweifigkeit der Arbeit bleibt der letzte Abschnitt 5.2, ''Das Ideal des begrifflichen Denkens'' mit nicht einmal drei Seiten in Allgemeinheiten stecken. Es habe nunmehr ''das Gegenteil einer antikisierenden Einzelfallbetrachtung'' stattgefunden. Darin sieht Verf. einen zweiten Rezeptionstypus. Ihn will er in Deutschland in Beziehung bringen zum ''sehr durch die idealistische Philosphie und den Bildungsgedanken des Neuhumanismus geprägten intellektuellen Kontext''. Dem hält Ref. entgegen, daß die mathematische Allgemeinheit und besonders die Lehrbuchverfasser noch bis lange nach Cauchys Tod nirgends auf der Welt den begrifflichen Neuansatz rezipiert haben, den man daher auch nicht mit einem zeitgenössischen Theorienideal in Beziehung bringen kann. Es wundert den Verf., nicht aber den Ref., daß eine Untersuchung der gar nicht stattgehabten Rezeption bisher nicht erfolgte. Das gilt weitgehend auch für den Typus elementarisierende Rezeption, wobei oft eine spätere Neuentdeckung erfolgte (Konvergenzkriterium, Hadamards Konvergenzradius, Limes superior), so daß man mit Freudenthal bei Cauchy von ''premature discoveries'' sprechen kann.
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    convergence
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    binomial series
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    Poisson
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