Erlanger Programm und Übertragungslehre. Neue Gesichtspunkte zur Grundlegung der Geometrie. (Q1449393)

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Erlanger Programm und Übertragungslehre. Neue Gesichtspunkte zur Grundlegung der Geometrie.
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    Erlanger Programm und Übertragungslehre. Neue Gesichtspunkte zur Grundlegung der Geometrie. (English)
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    1926
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    Verf. vergleicht die Geometrie zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts mit einer ``wohlgeordneten Familie'', ``die sich zwar eines stetigen Zuwachses erfreut, die aber gegen jeden Umsturzversuch prinzipiell gesichert schien''. Diese Ordnung und -- wie man heute sagen wird -- ``relative'' Sicherheit der Geometrie war und bleibt ein Verdienst des ``Erlanger Programms'', worin \textit{F. Klein} 1872 die Geometrie auf die folgende Aufgabe zurückführt: ``Es ist eine Mannigfaltigkeit und in derselben eine Transformationsgruppe gegeben; man entwickle die auf die Gruppe bezügliche Invariantentheorie.'' Den ``Umsturz'' brachten seit 1916 die Arbeiten von \textit{Hessenberg, Levi-Civita} und \textit{Schouten}, die Entdeckung der kovarianten Differentiation, der geodätisches Parallelverschiebung, der Übertragungstheorie. Noch ist die Diskrepanz zum Erlanger Programm eine unwesentliche. Wohl läßt sich jetzt die Geometrie einer \textit{Riemann}schen \(V_n\) -- nach \textit{Klein} die Invariantentheorie der Gruppe der kontinuierlichen Punkttransformationen mit adjungiertem Fundamentaltensor \(g_{\lambda_{\mu}}\) -- als Geometrie einer mit den Fundamentaltensor in bestimmter Weise zusammenhängenden ``Übertragung'' auffassen (Satz von \textit{Weyl}), doch entsteht dadurch keine neue Geometrie und nichts prinzipiell Neues. Die Sachlage wurde anders, als man erkannte, daß der Aufbau einer Differentialgeometrie in von jedem Fundamentaltensor unabhängiger Weise auf einer Übertragung allein begründet werden kann. Man kann so, wie Verf. in seinem bekannten Lehrbuch über den \textit{Ricci}kalkül (1924; F. d. M. 50, 588 (JFM 50.0588.*)) zeigt, jeder Übertragung eine neue Differentialgeometrie zuordnen. Auf diesem Wege entstehen Differentialgeometrien, wie die der affinen oder die der \textit{Weyl}schen Übertragung, für weicht das unmittelbare gruppentheoretische Fundament im Erlanger Programm fehlt, und umgekehrt enthält das Erlanger Programm Geometrien, wie die konforme oder die projektive, welche einer (unmittelbar) zugeordneten Übertragungstheorie entbehren. Es handelt sich offensichtlich um das Problem, das Grundprinzip der Geometrie neu zu formulieren in der Weise, daß die Gruppentheorie wiederum die ordnende Rolle des Erlanger Programms erhält und sämtliche ``Übertragungsgeometrien'' erfaßt werden. Die Formulierung lautet: Jedem Element einer \(X_n\) sei eine \(X_N\) zugeordnet, die dieses Element enthält. Benachbarte \(X_N\) werden aufeinander abgebildet durch Transformationen, die einer gegebenen kontinuierlichen Transformationsgruppe angehören. Es ist die Theorie der Invarianten zu entwickeln. Es ist zu beachten, daß, wenn zunächst \(N=n\) ist, die zugeordneten \(X_N\) (Mannigfaltigkeit der \(\infty^n\) Wertsysteme, die \(n\) unabhängige Variable \(x^{\nu}\) annehmen können) gleichsam ``Umgebungen'' der Punkte oder Elemente der \(X_n\) sein können. Ist die Transformationsgruppe keine Untergruppe der linearen homogenen, so wird diese Gruppe, wenn möglich, durch Einführung überzähliger Variablen auf die lineare homogene zurückgeführt. Dabei wird dann \(N>n\). Mit diesem ``Programm'' gibt Verf. eine Synthese der vorangehenden \textit{Cartan}schen und \textit{Wirtinger}scher Theorien, sofern sich \textit{Cartan} auf Punkttransformationen der benachbarten \(X_N\) beschränkt, unter Verwendung von Berührungstransformationen der \(X_n\), umgekehrt \textit{Wirtinger} Punkttransformationen der \(X_n\) verwendet, dagegen Berührungstransformationen benachbarter \(X_n\) zuläßt. Aus diesem Grunde sind C\textit{artan}s Übertragungen linear, während die \textit{Wirtinger}sche Übertragung nur unter besonderen zusätzlichen Voraussetzungen in eine inzidenzinvariante lineare Übertragung übergeht. Für \(N>n\) kann man versuchen, die vorliegende kontinuierliche Transformationsgruppe auf die lineare homogene durch Einführung überzähliger Koordinaten zurückzufuhren, wodurch man stets zu allgemeinen linearen Übertragungen gelangt. Beispiele dafür sind die Übertragungen der projektiven und der konformen Differentialgeometrie. Eine derartige Reduktion ist z. B. immer möglich, wenn eine endliche kontinuierliche Gruppe \textit{Cremona}scher Transformationen vorliegt. Die Beantwortung der Frage nach der Möglichkeit, eine beliebige endliche kontinuierliche Gruppe auf die lineare homogene zurückzuführen, entscheidet auch die Frage nach der Gesamtheit aller linearen Übertragungen. Unabhängig von diesen Reduktionsproblemen gewinnt \textit{Cartan} aus einer beliebigen kontinuierlichen Gruppe, erzeugt von \(r\) infinitesimalen Transformationen \(\underset {1} v^{\gamma}\,dt, \underset {2} v^{\gamma}\,dt, \ldots \underset {r} v^{\gamma}\,dt\), die Übertragung \[ dy^{\gamma}=dx^{\mu}\sum_{u=1}^r {\overset {u} w}_{\mu} {\underset {u} v}^{\gamma} \] mit der Krümmungsgröße \[ G^{\alpha}_{\omega\mu}=\left( \frac{\partial}{\partial x}{}_{[\omega}{\overset {w} w}_{\mu]}+ \sum_{u,v=1}^r \gamma_{uv}^w {\overset {u} w}{}_{[\omega}{\overset {v} w}_{\mu]}\right)w^{\alpha}_w, \] welche einer der \textit{Bianchi}schen analogen Identität genügt. Die so gewonnenen Geometrien zeigen deutlich den Einfluß des gruppentheoretischen Prinzips. Im Zusammenhang damit gewinnen die Differentialinvarianten einer beliebigen Differentialgleichung zweiter Ordnunggeometrische Bedeutung, sofern es möglich ist, ihren Integralkurven eine Übertragung zuzuordnen, als deren geodätische Kurven sie erscheinen. Zum Schluß zeigt Verf., wie man durch eine leichte Modifikation der Terminologie im Falle einer einfachen linearen, aber auch noch für Königsche Übertragungen, die Aufgabe der gruppentheoretischen Einordnung sogar im Rahmen der Erlanger Formulierung durchführen kann. Im ersten Falle ist mit der Gruppe aller kontinuierlichen Punkttransformationen in der \(X_n\) die lineare homogene Gruppe der ersten Differentiale der \(x^{\nu}\) und die der ersten Ableitungen eines Skalars \(p\) gegeben. Die lineare homogene Gruppe bestimmt den Begriff der ko- und kontravarianten Transformation und damit den Tensorbegriff. Auch die induzierte Gruppe für höhere Differentiale und Ableitungen ist von vornherein mitbestimmt, nicht aber ihre Reduktion auf Differentiale erster Ordnung und Tensorkomponenten. Diese Reduktion leistet erst die Einführung einer einfachen linearen Übertragung \(\varGamma^{\nu}_{\lambda\mu}\) -in der Art, wie man etwa in der \textit{Riemann}schen Geometrie die zweiten Ableitungen vermöge der \textit{Christoffel}schen Relationen eliminiert. Betrachtet man jetzt an Stelle der Mannigfaltigkeit \(X_n\) die der Wertsysteme der \(x^{\nu}\), \(\varGamma^{\nu}_{\lambda\mu}\), \(\varGamma^{\prime\nu}_{\lambda\mu}\), so ist die Geometrie dieser erweiterten Mannigfaltigkeit Invariantentheorie der alles umfassenden Gruppe der Transformationen der \(x^{\nu}\), \(dx^{\nu}, \ldots\), \(\dfrac{\partial p}{\partial x^{\lambda}}, \ldots\), \(\varGamma ^{\nu}_{\lambda\mu}\), \(\varGamma^{\prime\nu}_{\lambda\mu}\) und ihrer Ableitungen und ist somit gruppentheoretisch sogar im Sinne des Erlanger Programms erfaßt. Ähnlich kann für die Geometrien der \textit{König}schen Übertragungen verfahren werden, in welchen jedem Punkt der \(X_n\) eine (lineare) \(E_N\) für \(N>n\) zugeordnet wird, wobei die freien Vektoren der \(E_N\) in benachbarten Punkten linear aufeinander abgebildet werden, so daß die beiden Punkte sich gegenseitig entsprechen. Insbesondere wird auf diese Weise (für \(N=n+1\)) die projektive Differentialgeometrie erfaßt. Zusammenfassend mag noch bemerkt werden, daß die besprochene Arbeit -- hervorgegangen aus Vortragen des Verf. in Göttingen, Münster und Innsbruck -- in besonderer Weise geeignet erscheint, einen vorzüglichen Überblick über die zahlreichen differentialgeometrischen Probleme der neueren Zeit zu geben und auch in jüngster Zeit aufgetauchte Mißverständnisse zu klären! (vgl. \textit{M. Großmann}, Fernparallelismus?; Vierteljahrsschrift Zürich 76 (1931), 42-60; F. d. M. 57).
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