Lehrbuch der Funktionentheorie. In 2 Bänden, 1. Band. (Q1493925)
From MaRDI portal
scientific article
Language | Label | Description | Also known as |
---|---|---|---|
English | Lehrbuch der Funktionentheorie. In 2 Bänden, 1. Band. |
scientific article |
Statements
Lehrbuch der Funktionentheorie. In 2 Bänden, 1. Band. (English)
0 references
1907
0 references
In seinem Lehrbuch der Funktionentheorie, von dem das erste Heft schon im Jahre 1906 erschienen war (F. d. M. 37, 409, 1906, JFM 37.0409.02), wollte der Verf. eine umfassende Darlegung der Theorie der Funktionen komplexer Veränderlicher geben, die sich auch für das erste Studium eignete und unmittelbar an einen Kursus der Infinitesimalrechnung anschlösse. Er beginnt darum in den einleitenden ersten vier Kapiteln mit einer Zusammenstellung der grundlegenden Sätze über Funktionen von reellen Veränderlichen, bei der jedoch Definitionen und Lehrsätze so gefaßt werden, wie es für die Theorie der Funktionen komplexer Veränderlicher erforderlich ist. Außerdem werden in diesen Kapiteln die gebräuchlichen Beweismethoden der modernen Analysis auseinandergesetzt. Hierfür ist auch das Schluß\ kapitel des ersten Abschnittes von Wichtigkeit, in dem die Mengenlehre behandelt wird. Die Funktionentheorie im engeren Sinne des Wortes beginnt erst mit dem zweiten Abschnitt: Grundlagen der allgemeinen Theorie der Funktionen einer komplexen Größe, und zwar wird im Kapitel 6 auf Grund des Vorbildes der rationalen Funktionen der Begriff der analytischen Funktion entwickelt und sogleich an den elementaren Funktionen erläutert; dabei ist in sehr lehrreicher Weise von der konformen Abbildung Gebrauch gemacht worden. In dem siebenten Kapitel wird der \textit{Cauchy}sche Integralsatz eingeführt, an den sich jener Zyklus von Lehrsätzen anschließt, die die natürliche Grundlage der Funktionentheorie bilden. Das achte Kapitel ist den mehrdeutigen Funktionen gewidmet und bringt die \textit{Riemann}schen Flächen in geometrischer Behandlung nach \textit{Klein}scher Manier. Mit dem neunten Kapitel über analytische Fortsetzung wird ein gewisser Abschluß\ der Funktionentheorie im Gebiete einer unabhängigen Veränderlichen erreicht. Der dritte Abschnitt bringt im Kapitel 10 als Anwendung der allgemeinen Sätze die Theorie der eindeutigen einfach- und doppeltperiodischen Funktionen, die in dem folgenden Kapitel mittels Reihen- und Produktentwicklungen (Satz von \textit{Mittag-Leffler}, Produktdarstellungen von \textit{Weierstraß}) vervollständigt wird. Es folgt ein sehr interessantes Kapitel über die elementaren Funktionen. Im Gegensatz zu der künslichen Einführung der Exponentialfunktion durch eine scheinbar willkürlich aufgestellte Potenzreihe macht der Verf. die Integraldarstellung des Logarithmus zum Ausgangspunkt der Betrachtung, von wo aus er zur Potenz und zur Exponentialfunktion gelangt. Die trigonometrischen Funktionen werden aus der Differentialgleichung zweiter Ordnung für die einfache harmonische Schwingung gewonnen. Wenn diese Gedanken auch nicht neu sind, so ist doch ihre klare und elegante Durchführung ein Vierdienst des Verf. Der dritte Abschnitt schließt in dem zwölften Kapitel mit einer selbständigen Behandlung des logarithmischen Potentials, wobei der Gesichtspunkt maß\ gebend war, daß\ die ganze Funktionentheorie auch auf dieser Grundlage, also automorphen Funktionen eindringen will, unerläßlich, und so kann der dritte Abschnitt als eine vortreffliche Vorbereitung zu dem Studium der modernen Untersuchungen bezeichnet werden. Schon aus dieser Inhaltsangabe geht hervor, wie weit sich \textit{Osgood} von dem Wege entfernt, den \textit{Weierstraß} in einen Vorlesungen über analytische Funktionen eingeschlagen hat. Wie weit die Abkehr von \textit{Weierstraß} geht, zeigt sich besonders im siebenten Kapitel. Der Verf. hat sich hierüber in dem vorwort mit nicht mißzuverstehender Deutlichkeit geäußert. ``Die Sätze selbst'', sagt er, ``gewinnen an Deutlichkeit durch das Abstreifen des Nebensächlichen, welches in der häufigen Erwähnung von Potenzreihen besteht. In der Tat beziehen sich die wichtigsten dieser Sätze vor allen Dingen auf \textit{Funktionen}. Daß\ diese Funktionen gerade nach dem \textit{Taylor}schen Lehrsatze entwickelbar sind, ist hier belanglos. Was übrigens die Potenzreihen betrifft, so hätte ich viel weiter gehen können. Es ist vielleicht nicht allgemein bekannt, daß\ die \textit{Taylor}sche Reihenentwicklung für die Begründung der Funktionentheorie durchaus entbehrlich ist; die Beweise gestalten sich sogar einfacher, wenn man sich bloß\ des Analogons des Mittelwertsatzes in der Differentialrechnung bedient. Doch darf man aus praktischen Gründen jene Reihe nicht zu sehr verdrängen; denn sie dient dem Anfänger zur Übung, damit er lernt, überhaupt mit Reihen umzugehen.'' Charakteristisch für \textit{Osgoods} Auffassung sind auch eine Äußerungen über den Begriff der analytischen Funktionen einer reellen Veränderlichen Nachdem er mittels des \textit{Hankel}schen Prinzips der Verdichtung der Singularitäten ein recht einfaches Beispiel für eine Funktion einer reellen Veränderlichen konstruiert hat, die stetig ist und Ableitungen jeder Ordnung besitzt, ohne in eine \textit{Taylor}sche Reihe entwickelbar zu sein, sagt er: ``Wo ist da eine geometrische oder eine funktionentheoretische Eigenschaft, die wir bei unseren Funktionen nicht missen möchten, welche aber dieser Funktion abginge? Man wird vielleicht darauf erwidern: Schon die Eigenschaft, in eine \textit{Taylor}sche Reihe entwickelbar zu sein, wird der Funktion nicht zuteil, und damit geht so mancher einfache Beweis, der sich auf das Operieren mit Potenzreihen stützt, verloren. Was den ersten Punkt betrifft, so möchte ich sagen: Schade um die Potenzreihe, welche nicht einmal imstande ist, eine so einfache Funktion darzustellen! Das Mangelhafte liegt hier eben nicht an der Funktion, sondern an der Reihenentwicklung, die zu spröde ist, selbst einige von den allereinfachsten Funktionen zum Ausdruck zu bringen. Die \textit{Fourier}schen Reihen sowie verwandte Reihen der mathematischen Physik sind dagegen viel geschmeidiger. Wichtiger ist aber die zweite Austellung, es ginge eine bequeme Beweismethode verloren. In der tat kann man die Beweise, wie sie in der Praxis vorkommen, vermöge des \textit{Taylor}schen Satzes mit dem Restgliede noch einfacher führen. Seit langer Zeit habe ich vergebens einen zwingenden Grund gesucht, den analytischen Funktionen in der reellen Funktionentheorie eine bevorzugte Stellung einzuräumen. Bei den allermeisten Anwendungen liegt ein solcher Grund eben nicht vor .... Demgemäß\ entspricht die Einleitung der Funktionen in analytische und nichtanalytische nicht der Natur der Sache. Bei orientierenden Untersuchungen -- man denke etwa an die \textit{Lie}schen Theorien -- pflegt man sich wohl damit zu decken, daß\ man verlangt, alle in Betracht kommenden Funktionen sollen analytisch sein. Damit begreift man eine Menge von Eigenschaften mit ein, welche man vorläufig nicht überblickt, und vermeidet wieder Ausnahmefälle, deren Existenz man ebensowenig ahnt. Denn die analytischen Funktionen sind duldsam und lassen manchem begriffliche Unexaktheit ungestraft durchgehen. Befriedigender ist jedoch die Formulierung eines Satzes, wenn wir dabei nur solche Einschränkungen machen, welche dem Wesen des Satzes entsprechen, also solche, ohne welche entweder der Satz nicht richtig wäre, oder aber der Beweis uns nicht gelingen würde.'' Die vorstehenden Proben werden gezeigt haben, wie frisch und anregend die Darstellung des temperamentvollen Verf. ist, der gelegentlich auch vor burschikosen Wendungen nicht zurückschreckt. Sehr wertvoll für den Anfänger sind auch die zahlreichen hübschen Aufgaben. Dagegen kann sich der Ref. mit den dürftigen Literaturangaben nicht einverstanden erklären, da er es nicht für angängig hält, den Anfänger einfach auf den Bericht \textit{Osgoods} in dem zweiten Bande der Enzyklopädie der mathematischen Wissenschaften zu verweisen.
0 references