Vorlesungen über Differentialgleichungen mit bekannten infinitesimalen Transformationen. Bearbeitet und herausgegeben von G. Scheffers. (Q1532075)

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Vorlesungen über Differentialgleichungen mit bekannten infinitesimalen Transformationen. Bearbeitet und herausgegeben von G. Scheffers.
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    Vorlesungen über Differentialgleichungen mit bekannten infinitesimalen Transformationen. Bearbeitet und herausgegeben von G. Scheffers. (English)
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    1891
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    Jeder akademische Docent, der eine mit einem Seminar verknüpfte Vorlesung über die ältere Theorie der Differentialgleichungen gehalten hat, wird wohl das Missliche empfunden haben, welches sich durch den Mangel an Zusammenhang zwischen den mannigfaltigen speciellen Integrationsmethoden aufdrängt; er wird das unbefriedigende Gefühl gehabt haben, dass dieser Zweig der Mathematik die Bezeichnung einer Wissenschaft eigentlich nicht verdient. Diesem Mangel will das vorliegende Buch abhelfen, es legt in echt pädagogischem Aufbau mit Einstreuung zahlreicher instructiver Beispiele dar, wie thatsächlich das ``Gemenge'' der früheren Integrationsmethoden zu einer ``organischen Verbindung'' umgestaltet werden kann. Der Schlüssel des Verfahrens liegt im Begriffe der infinitesimalen Transformation (weiterhin kurz mit \(I.\;T\) bezeichnet) und dem sich daran anschliessenden der ein- und mehrgliedrigen Gruppen von Transformationen. Das Buch ist (mit Ausnahme weniger Entwickelungen und Hülfssätze), unter absichtlichen Ausschluss der höheren Stufen der Theorie, so elementar gehalten, dass der Herausgeber nicht zu viel behauptet, wenn er sich bereits einen Studenten im vierten Semester als aufnahmefähigen Leser denkt. Wenn zu dem Behuf die Darstellung, wie die Vorrede einräumt, ``etwas breit, vielleicht hier und da etwas zu breit'' geraten ist, so wollen wir hierüber mit dem Herausgeber nicht rechten. Um in den Geist des Ganzen möglichst bald einzudringen, beginnen wir mit zwei einfachsten Beispielen von Differentialgleichungen, bei denen es bekannt ist, dass man mit blossen Quadraturen zum Ziele gelangt. 1) \(y'=f(y)\). Für \(y=\) const. ist hier auch \(y'=\) const., oder geometrisch gesprochen, vermöge der Differentialgleichung wird allen Punkten längs einer Geraden \(y=\) const. dieselbe ``Richtung'' zugeordnet; die Integralcurven der Gleichung können daher aus einer einzigen durch Verschiebung derselben längs der \(x\)-Axe abgeleitet werden. Jede solche Verschiebung (``Translation'') hat zum analytischen Ausdruck die ``Transformation'' \(x_1=x+a\), \(y_1=y\), wo \(a\) einen willkürlichen Parameter bedeutet; sie vertauscht demnach nur die \(\infty^1\) Schar der Integralcurven, lässt sie aber als Ganzes unverändert. Dies gilt im besonderen auch für einen unendlich kleinen Wert von \(a\), d. i. eben für eine \(I.\;T\). 2) \(y'=f(\frac yx)\) (homogene Differentialgleichung). Allen Punkten desselben Strahles \(\frac yx=\) const. wird hier die nämliche Richtung \(y'\) zugeordnet. Die \(\infty^1\) Schar der Integralcurven geht somit durch ähnliche Vergrösserung (oder Verkleinerung) vom Anfangspunkte aus in sich über, d. i. durch alle \(T\) von der Form \(x_1=ax\), \(y_1=ay\), und im besonderen wiederum durch eine \(I.\;T\), sobald der Wert von \(a\) von der Einheit nur unendlich wenig abweicht. Man wird sich daher die Frage vorlegen, ob denn nicht eine derartige aprioristische Kenntnis einer Schar von \(T\) und im besonderen einer \(I.\;T\), welche jede Integralcurve einer vorgelegten gewöhnlicher Differentialgleichung wieder in eine solche überführt, methodisch dazu verwertet werden kann, das Integrationsgeschäft zu vereinfachen, ja geradezu principiell zu begründen. Vor allem drängt sich die Bemerkung auf, dass die in den beiden Beispielen (und desgleichen noch in einer grossen Reihe weiterer) auftretenden Scharen von \(T\) in zwei Variabeln \(x,y\) eine specifische Eigentümlichkeit besitzen, welche sie von beliebigen Scharen von \(T\) wohl unterscheidet. Uebt man nämlich auf einen ``Punkt'' \((x,y)\) eine erste Translation mit dem Parameter \(a\) aus, wodurch er in die Lage \((x_1,y_1)\) übergehe, und nunmehr auf diesen neuen Punkt \((x_1,y_1)\) eine neue Translation mit dem Parameter \(a'\), welche denselben in die Lage \((x_2,y_2)\) bringt, so kann man offenbar auch beide Translationen zu einer einzigen mit dem Parameter \((a+a')\) zusammensetzen, welche \((x,y)\) direct in \((x_2,y_2)\) überführt. Eliminirt man nämlich aus den Gleichungen \(x_1=x+a\), \(y_1=y\); \(x_2=x_1+a'\), \(y_2=y_1\) die Zwischenvariabeln \(x_1,y_1\), so kommt \(x_2=x+(a+a')\), \(y_2=y\). Diese Translationen bilden demnach eine ``Gruppe'' von \(T\). Hierauf gestützt, sieht man zugleich, weshalb die vorliegende ``eingliedrige'' Gruppe von Translationen durch ihre \(I.\;T\) charakterisirt und erzeugt werden kann; man hat eben nur eine \(I.\;T\) genügend oft zu wiederholen, um zu jeder ``endlichen'' \(T\) zu gelangen. Es ist deutlich, wie die erwähnten Eigenschaften unmittelbar durch die ursprüngliche Eigenschaft der \(T\) bedingt werden, jede Integralcurve von \(y'=f(y)\) wieder in eine solche überzuführen. Ganz Analoges gilt von dem zweiten Beispiel, wo sich zwei Aehnlichkeitstransformationen mit den Parametern \(a\) und \(a'\) zu einer einzigen mit dem Parameter \((aa')\) zusammensetzen. Es ergiebt sich somit die Notwendigkeit, vorab die wichtigsten Eigenschaften einer Gruppe von \(T\), namentlich der eingliedrigen (d. i. nur einen, stetig veränderlichen Parameter mit sich führenden) festzustellen. In der That stellt sich heraus, dass das bei den obigen speciellen Gruppen von \(T\) Bemerkte allgemein gilt. Der Einfachheit halber bleiben wir bei zwei Veränderlichen. Man darf sich auf solche Gruppen von \(T\) beschränken, welche die ``identische Transformation'' enthalten, d. h. bei denen den Parametern ein solches Wertsystem beigelegt werden kann, dass jeder Punkt in Ruhe bleibt, zugleich auch solche, für welche zu jeder \(T\) auch die ``inverse'' innerhalb der Gruppe existirt, deren Wirkung diejenige von \(T\) gerade aufhebt. Eine eingliedrige Gruppe lässt sich in Form einer Reihe entwickeln (wo \(t\) den Parameter bedeutet): \[ \begin{aligned} & x_1=x+\xi(x,y)\tfrac t1+\left(\xi\;\frac{\partial\xi}{\partial x}+\eta\;\frac{\partial\xi}{\partial y}\right) \frac{t^2}{1.2}+\cdots, \\ & y_1=y+\eta(x,y)\tfrac t1+\left(\xi\;\frac{\partial\eta}{\partial x}+\eta\;\frac{\partial\eta}{\partial y}\right)\frac{t^2}{1.2}+\cdots.\end{aligned} \] Fasst man hier \(\xi\;\frac{\partial}{\partial x}+\eta\;\frac{\partial}{\partial y}=U\) als eine Operation auf, so ist das Bildungsgesetzt der Coefficienten sehr deutlich; man hat nur diese Operation auf \(\xi\) resp. \(\eta\) wiederholt anzuwenden. Für \(t=0\) kommt die Identität, für \(t=\delta t\) die \(I.\;T\). Es wird auf Grund der Umkehrung der Potenzreihen der wichtige Satz nachgewiesen (es ist das einer der wenigen nicht-elementaren Beweise des Buches), dass eine eingliedrige Gruppe von \(T\) im wesentlichen nur eine ``einzige'' \(I.\;T\) besitzt, die eben durch die Functionen \(\xi(x,y)\) und \(\eta(x,y)\) vollständig charakterisirt ist, und welche rückwärts wieder die Gruppe erzeugt. Man spricht daher kurz von der eingliedrigen Gruppe \(U\). Bezeichnet \(f(x,y)\) eine ganz willkürliche Function, so dient \(Uf\) als Symbol der \(I.\;T\);\ \(Uf.\delta t\) ist der Zuwachs, den \(f\) vermöge der \(I.\;T\) erhält. Mit diesem Symbol \(Uf\) wird fast ausschliesslich gerechnet, da ihm drei hervorragende Eigenschaften zukommen: Erstens behält dasselbe bei Einführung neuer Veränderlichen seine Form, zweitens setzt sich das Symbol der \(I.\;T\) einer mehrgliedrigen Gruppe einfach linear mit constanten Coefficienten aus Symbolen eingliedriger Gruppen zusammen, und endlich liefert der sogenannte Klammerprocess \((U_1U_2)\) für zwei solche Symbole \[ U_1=\xi_1\;\frac{\partial f}{\partial x}+\eta_1\;\frac{\partial f}{\partial y},\quad U_2=\xi_2\;\frac{\partial f}{\partial x}+\eta_2\;\frac{\partial f}{\partial y}, \] nämlich \[ (U_1U_2)f\equiv (U_1\xi_2-U_2\xi_1)\frac{\partial f}{\partial x}+(U_1\eta_2-U_2\eta_1)\;\frac{\partial f}{\partial y} \] wiederum ein Symbol der nämlichen Form. Die oben erwähnten Reihenentwickelungen erhält man durch Integration der (fast unmittelbar aus dem Begriff der eingliedrigen Gruppe folgenden) Differentialgleichungen: \[ \frac{dx_1}{\xi(x_1,y_1)}=\frac{dy_1}{\eta(x_1,y_1)}=dt \] mit den Anfangsbedingungen \(x_1=x\), \(y_1=y\) für \(t=0\). Diese Differentialgleichungen lassen sich aber auch direct integriren und führen zu einen Ergebnis von der Gestalt: \(\varOmega(x_1,y_1)=\varOmega(x,y)\), \(W(x_1,y_1)-t=W(x,y)\), was den wichtigen Satz liefert: ``Eine eingliedrige Gruppe von \(T\) lässt sich durch Einführung neuer Veränderlichen (nämlich \(\varOmega\) und \(W\)) auf die kanonische Gestalt von Translationen bringen.'' Bei Variation des Parameters einer eingliedrigen Gruppe beschreibt irgend ein Punkt der Ebene eine Curve, seine ``Bahncurve''; die Gesamtheit der Bahncurven wird durch eine Gleichung \(\varOmega(x,y)=\) const. dargestellt, und \(\varOmega\) (oder auch irgend eine Function von \(\varOmega\)) ist dann die ``Invariante'' der Gruppe. Es giebt noch eine zweite Art von invarianten Curven, für die jeder einzelne Punkt in Ruhe bleibt, für die also \(\xi=\eta=0\) ist. Beide Curven können aber durch das eine Kriterium zusammengefasst werden, dass \(U\varOmega=0\) ist vermöge \(\varOmega=0\). Um nunmehr die Theorie der eingliedrigen Gruppen auf Differentialgleichungen mit bekannten \(I.T\) anzuwenden, fehlt noch ein Schritt. Wann gestattet eine \(\infty^1\) Schar von Curven \(\varOmega=\) const. die \(T\) einer eingliedrigen Gruppe? Die Antwort lautet: Dann, und nur dann, wenn \(U\varOmega\) eine Function von \(\varOmega\) allein ist. Verbindet man dies mit der bekannten Bemerkung, dass die Integralcurven \(\omega(x,y)=\) const. einer Differentialgleichung \(X(x,y)dy-Y(x,y)dx=0\) auch durch die Lösung \(\omega\) der homogenen linearen partiellen Differentialgleichung \[ X\;\frac{\partial f}{\partial x}+Y\;\frac{\partial f}{\partial y}=0 \] definirt werden können, so gelangt man zu dem grundlegenden Satze: ``Gestattet die Differentialgleichung \(Xdy-Ydx=0\), d. h. gestattet die Schar ihrer Integralcurven die bekannte \(I.\;T\): \[ Uf\equiv \xi\;\frac{\partial f}{\partial x}+\eta\;\frac{\partial f}{\partial y} \] (nur dass nicht jede Integralcurve einzeln invariant bleibt), so ist \(\frac{1}{X\eta-Y\xi}\) ein Euler'scher ``Integrabilitätsfactor'' der Differentialgleichung, und die Gleichung der Integralcurven lautet \[ \int\frac{Xdy-Ydx}{X\eta-Y\xi}=\text{const.''} \] Für die praktische Anwendung hat man nur noch ein directes Kriterium dafür aufzustellen, dass die vorgelegte Differentialgleichung, deren Integralcurven ja noch unbekannt sind, die eingliedrige Gruppe \(Uf\) gestattet. Dies geschieht in eleganter Weise mittels der oben erwähnten Klammeroperation; es ergiebt sich, dass die Gleichung \(Xdy-Ydx=0\) dann, und nur dann, \(Uf\) gestattet, wenn identisch in \(x,y\) und \(f\): \[ (UA)f\equiv \lambda.Af, \] wo \(Af=X\;\frac{\partial f}{\partial x}+Y\;\frac{\partial f}{\partial y}\) und \(\lambda\) eine Function von \(x\) und \(y\) allein bedeutet. Der Integrabilitätsfactor erlaubt eine elegante geometrische Deutung, welche die Möglichkeit einer Reihe schöner Anwendungen gewährt. Es sei \((x,y)\) ein Punkt \(P\) auf einer Integralcurve \(\omega=c\), und \(\omega=c+\delta c\) sei eine benachbarte Integralcurve, ferner \(\delta s\) der Normalabstand im Punkte \(P\) zwischen beiden Curven; endlich trage man auf der Tangente des Punktes \(P\) von \(P\) aus die Strecke \(\sqrt{X^2+Y^2}\) ab. Dann ist der fragliche Integrabilitätsfactor umgekehrt proportional dem Rechtecke aus den beiden erwähnten Strecken. Der Zusammenhang zwischen dem in Rede stehenden Factor und einer \(I.\;T\), sowie die geometrische Deutung des ersteren lässt sich ausdehnen auf eine lineare partielle Differentialgleichung in \(n\) Variabeln, welche \(n-1\;I.\;T\) gestattet. Hat man mehrere gewöhnliche Differentialgleichungen erster Ordnung in zwei Variabeln, zwischen deren Multiplicatoren gewisse functionale Abhängigkeiten statthaben, so lassen sich aus der Kenntnis der letzteren bemerkenswerte Schlüsse hinsichtlich der Integration der vorgelegten Gleichungen ziehen. Hiervon werden schöne Anwendungen auf Probleme der Flächentheorie gemacht, die allerdings, wie der Referent nebenbei bemerkt, nicht wesentlich an den Begriff der \(I.\;T\) und der eingliedrigen Gruppe gebunden sind. Sind sogar zwei \(I.\;T\) einer Differentialgleichung erster Ordnung in zwei Variabeln bekannt, so führen die beiden zugehörigen Multiplicatoren unmittelbar durch Division zu einem Integrale; umgekehrt wird gezeigt, wie die Kenntnis einer \(I.\;T\) und eines Integrals sofort sämtliche \(I.\;T\), welche die Gleichung gestattet, hinzuschreiben erlaubt. Die nunmehr sich aufdrängende Frage ist, wie die vorliegende Theorie modificirt werden muss, wenn die Differentialgleichung nicht in aufgelöster Form \(Xy'-Y=0\) vorgelegt erscheint, sondern in implicirter Form als Gleichung \(\varOmega(x,y,y')=0\). Hier wird ein wesentlicher Fortschritt erzielt durch Einführung des Begriffes einer (einmal) ``erweiterten'' eingliedrigen Gruppe und ihrer \(I.T\). Liegt nämlich überhaupt eine Transformation vor: \(x_1=\varphi(x,y),y_1=\psi(x,y)\), so ist damit auch jeder Richtung \(y'=\frac{dy}{dx}\) eine bestimmte transformirte Richtung \(y_1'=\frac{dy_1}{dx_1}\) zugeordnet vermöge der bekannten Formel \(y_1=\frac{\frac{\partial\psi}{\partial x}+\frac{\partial\psi}{\partial y}y'}{\frac{\partial\varphi}{\partial x}+\frac{\partial\varphi}{\partial y}\,y'}\). Im Verein mit den beiden gegebenen Formeln hat man so eine \(T\) in drei Veränderlichen \(x,y,y'\), die ``Erweiterung'' der ursprünglichen. Bilden im besonderen die vorgelegten Gleichungen eine eingliedrige (oder auch mehrgliedrige) Gruppe von \(T\)., so bilden auch die erweiterten Gleichungen eine solche, nämlich in \(x,y,y'\). Die Parameter befolgen dabei beidemal genau dasselbe Zusammensetzungsgesetz. Die \(I.\;T\) der erweiterten Gruppe lässt sich unmittelbar aus der \(I.\;T\) der ursprünglichen herleiten; ist die letztere, wie oben, gegeben durch \(Uf\equiv \xi\;\frac{\partial f}{\partial x}+\eta\;\frac{\partial f}{\partial y}\), so wird das Symbol \(U'f\) der neuen \(I.\;T\): \[ U'f\equiv Uf+\left[\frac{\partial\eta}{\partial x}+\left(\frac{\partial \eta}{\partial y}-\frac{\partial\xi}{\partial x}\right)y'-\frac{\partial\xi}{\partial y}\;y'^2\right]\frac{\partial f}{\partial y}\,, \] oder kürzer geschrieben: \[ U'f\equiv Uf+\left[\frac{d\eta}{dx}-y'\;\frac{d\xi}{dx}\right] \frac{\partial\xi}{\partial y'}\equiv Uf+\eta'\frac{\partial f}{\partial y'}\,. \] Hieraus entspricht in Verallgemeinerung eines früher mitgeteilten Satzes das wichtige Kriterium, dass eine Differentialgleichung \(\varOmega(x,y,y')=0\) die eingliedrige Gruppe \(Uf\) dann und nur dann gestattet, wenn der Ausdruck \(U'\varOmega\) vermöge \(\varOmega=0\) verschwindet. Umgekehrt gelangt man zu allen Differentialgleichungen \(\varOmega(x,y,y')=0\), welche eine vorgelegte Gruppe \(Uf\) gestattet, indem man das Raumproblem löst, alle Flächen, i. e. Gleichungen in \(x,y,y'\), zu finden, welche die erweiterte Gruppe \(U'f\) zulassen. Dieses Raumproblem erlaubt aber (übrigens auch für eine ganz beliebige eingliedrige Gruppe in drei Veränderlichen) eine ganz analoge Behandlung, wie das früher besprochene Problem der Ebene. Irgend zwei unabhängige Lösungen \(u,v\) der linearen partiellen Differentialgleichung \(U'f=0\) ergeben zwei Invarianten der Gruppe, und jede Invariante der Gruppe ist eine Function jener beiden. Die Gleichungen \(u=\) const., \(v=\) const. stellen die \(\infty^2\) Bahncurven der Gruppe dar. Es giebt zweierlei invariante Flächen, einmal die aus lauter invarianten Punkten bestehenden (dieselben kommen hier nicht weiter in Betracht), sodann die von \(\infty^1\) Bahncurven erzeugten, offenbar durch eine beliebige Gleichung zwischen \(u\) und \(v\) repräsentirten. Nennt man eine Invariante der Gruppe \(U'f\) eine ``Differentialinvariante'' der ursprünglichen Gruppe \(Uf\), so hat man demnach das Resultat, dass jede Differentialgleichung \(\varOmega(x,y,y')=0\), welche \(Uf\) gestattet, durch Nullsetzen einer Differentialinvariante von \(Uf\) erhalten werden kann. Nunmehr lässt sich schon erkennen, wie man fortzuschreiten hat, wenn man zu gewöhnlichen Differentialgleichungen zweiter Ordnung übergehen will, welche eine, resp. mehrere eingliedrige Gruppen gestatten. Man wird eine eingliedrige Gruppe \(Uf\) ein zweites Mal erweitern, indem man jetzt auch die transformirte zweite Ableitung \(y_1^{\prime\prime}\) durch die ursprüngliche \(y''\), sowie durch \(x,y\) und \(y'\) ausdrückt. Die Gesamtheit der so entstandenen vier Gleichungen stellt im Gebiete der vier Veränderlichen \(x,y,y',y''\) abermals eine eingliedrige Gruppe dar, deren Symbol \(U''f\) aus \(U'f\) durch einen entsprechenden Zusatz hervorgeht, wie \(U'f\) aus \(Uf\): man berechnet nämlich, dass: \[ U''f=U'f+\eta''\;\frac{\partial f}{\partial y''}, \] wo \[ \eta''=\frac{d\eta'}{dx}-y''\;\frac{d\xi}{dx},\quad \eta'=\frac{d\eta}{dx}-y'\frac{d\xi}{dx} \] ist. Es ist hierbei zu beachten (was für gewisse Vereinfachungen im Integrationsgeschäft von Bedeutung wird), dass \(\eta''\) in \(y''\) linear ist, während \(\eta'\) in \(y'\) quadratisch ausfällt. Das Hauptergebnis ist nun wiederum, dass die Differentialgleichung \(\varOmega(x,y,y',y'')=0\) die eingliedrige Gruppe \(Uf\) dann und nur dann zulässt, wenn \(U''\varOmega\) vermöge \(\varOmega=0\) verschwindet. Diesem Kriterium lässt sich eine praktisch bequemere Form geben, sobald man sich die Differentialgleichung nach \(y''\) aufgelöst denkt. Fragt man jetzt nach dem Nutzen, den die Kenntnis einer \(I.\;T\) einer Differentialgleichung zweiter Ordnung für deren Integration gewährt, so zeigt sich, dass die Aufgabe vermittelst Quadraturen auf die einfachere reducirt werden kann, nach einander zwei gewöhnliche Differentialgleichungen erster Ordnung zu integriren: eine tiefer gehende Untersuchung lässt sogar erkennen, dass die Integration einer dieser beiden Differentialgleichungen erster Ordnung erspart werden kann. Der Grund solcher Vereinfachungen liegt wesentlich in der ``Form'', welche irgend eine Differentialgleichung zweiter Ordnung annehmen kann, sobald sie \(Uf\equiv\xi\;\frac{\partial f}{\partial x}+\eta\;\frac{\partial f}{\partial y}\) gestattet. Diese Form ist nämlich selber die einer Differentialgleichung erster Ordnung zwischen zwei Veränderlichen \(u\) und \(v\). Dabei bedeutet \(u\) eine Invariante der Gruppe \(Uf\), ist also ein Integral der Differentialgleichung erster Ordnung \(dy.\xi-dx.\eta=0\), während \(v\) eine Invariante der (einmal erweiterten) Gruppe \(U'f\) ist, welche sich aus einer gewissen Riccati'schen Gleichung (von der eine Particularlösung bekannt ist) durch Quadratur bestimmt. Die angedeutete, noch weiter gehende Vereinfachung wird erzielt, wenn man an Stelle von \(\varOmega(x,y,y',y'')=0\) eine aequivalente lineare partielle Differentialgleichung in den drei Veränderlichen \(x,y,y'\) einführt. Um Missverständnisse zu zerstreuen, sei übrigens betont, dass nicht jede Differentialgleichung zweiter Ordnung eine eingliedrige Gruppe \(Uf\) gestattet. Wir möchten noch einige Worte über Differentialgleichungen zweiter Ordnung \(\varOmega(x,y,y',y^{\prime\prime})=0\) hinzufügen, welche mehrere \(I.\;T\) zulassen. Da ist vor allem ein grundlegender Satz über die Erweiterung eines Klammerausdrucks \((U_1U_2)\) zweier Symbole \(U_1f\) und \(U_2f\) anzuführen. Man kann einmal \(U_1\) und \(U_2\) einzeln, etwa \(i\)-mal erweitern, wodurch sie in \(U_1^{(i)}\) resp. \(U_2^{(i)}\) übergehen mögen, und hieraus den Klammerausdruck \((U_1^{(i)}U_2)^{(i)}\) bilden; andererseits kann man aber auch den Ausdruck \((U_1U_2)\) selbst direct \(i\)-mal erweitern, wodurch \((U_1U_2)^{(i)}\) entstehe. Es zeigt sich, dass beide Ergebnisse identisch sind. Als eine unmittelbare Anwendung davon erscheint der Satz, dass, wenn z. B. eine Differentialgleichung zweiter Ordnung die beiden \(I.\;T\) \(U_1f\) und \(U_2f\) gestattet, sie auch die weitere \(I.\;T\) \((U_1U_2)\) zulässt. Ist \((U_1U_2)\) ``abhängig'' von \(U_1\) und \(U_2\), d. h. lässt sich \((U_1U_2)\) linear mit constanten Coefficienten durch \(U_1\) und \(U_2\) ausdrücken, so ist damit nichts Neues gewonnen; wesentlich anders verhält es sich aber, wenn \((U_1U_2)\) nicht von \(U_1\) und \(U_2\) abhängig ist. Dann hat man eine wirklich neue, dritte \(I.\;T\) gefunden, welche die vorgelegte Gleichung gestattet. Fährt man so fort, sei es dass nur zwei, oder auch mehrere bekannte \(I.\;T\) vorliegen, so gelangt man zu dem Fundamentalsatze: Wenn überhaupt eine Differentialgleichung mehrere \(I.T\) zulässt, so lassen sich die letzteren vermöge wiederholter Klammeroperation zu einem endlichen geschlossenen System von \(r\) unabhängigen \(I.T\) ergänzen von der Art, dass nunmehr jeder aus irgend zweien dieser \(I.T\) gebildete Klammerausdruck eine \(I.T\) darstellt, welche durch die \(I.T\) des Systems linear ausgedrückt werden kann. Dann sagt man, dass die \(I.T\) eine ``\(r\)-gliedrige Gruppe'' bilden; die Gesamtheit der zu den \(I.T\) (und den von ihnen abhängigen) gehörigen eingliedrigen Gruppen von \(T\) erzeugt ihrerseits eine endliche, \(r\)-gliedrige ``Gruppe'' von \(T\) in dem Sinne, dass irgend zwei \(T\) der Gruppe, hinter einander ausgeführt, wiederum zu einer \(T\) der Gruppe führen. Hat ein Bestandteil der \(T\) einer Gruppe selbst die Gruppeneigenschaft, so heisst er eine ``Untergruppe'' der vorliegenden Gruppe. Für die Differentialgleichungen zweiter Ordnung ist nun der Hülfssatz von besonderer Bedeutung, dass jede \(r\)-gliedrige Gruppe \((r>2)\) von \(I.\;T\) mindestens eine zweigliedrige Untergruppe enthält, ein Satz, der übrigens genau so für \(n\) Veränderliche gilt. Man ist daher genötigt, zunächst die zweigliedrigen Gruppen der Ebene zu untersuchen und sie vor allem auf ``kanonische'' Formen zu bringen: es ergiebt sich, dass es nur vier wesentlich verschiedene Typen zweigliedriger Gruppen der Ebene giebt, je nachdem \((U_1U_2)\) identisch Null ist oder nicht, und je nachdem zwischen \(U_1\) und \(U_2\) eine lineare Relation mit variabeln (d. i. von \(x,y\) abhängigen) Coefficienten herrscht oder nicht, je nachdem also die beiderseitigen Bahncurven übereinstimmen oder nicht. Die zugehörigen kanonischen Formen der \(I.\;T\) lauten: \[ (1)\quad \frac{\partial f}{\partial x},\quad \frac{\partial f}{\partial y};\qquad (2)\quad \frac{\partial f}{\partial y},\quad x\;\frac{\partial f}{\partial y};\qquad (3)\quad \frac{\partial f}{\partial y},\quad x\;\frac{\partial f}{\partial x}; \] \[ (4)\quad \frac{\partial f}{\partial y},\quad y\;\frac{\partial f}{\partial y}, \] oder auch, die Gruppen in endlicher Form geschrieben, wenn \(k\), \(l\) variable Parameter bedeuten: \[ (1)\quad x_1=x+k,\;y_1=y+l;\qquad (2)\quad x_1=x,\;y_1=y+kx+l; \] \[ (3)\quad x_1=kx,\;y_1=ky+l;\qquad (4)\quad x_1=x,\;y_1=kx+l. \] In ihrer kankonischen Gestalt sind also die vier Gruppen einfache projective Gruppen. Führt man jetzt, den kanonischen Formen der \(I.\;T\) entsprechend, in eine Differentialgleichung zweiter Ordnung kanonische Variabeln ein, so kommt man in den ersten Fällen mit Quadraturen aus, und nur im letzten Falle bedarf man der Integration einer Differentialgleichung erster Ordnung; aber auch diese lässt sich umgehen, wenn man wiederum an Stelle der vorgelegten Gleichung eine aequivalente lineare partielle Differentialgleichung substituirt. Auch in dem nächst interessirenden Falle einer Differentialgleichung zweiter Ordnung, die eine dreigliedrige Gruppe \(U_1,U_2,U_3\) gestattet, wird man nach verschiedenen Typen und kanonischen Formen dreigliedriger Gruppen der Ebene fragen. Hier kommt ein neues Einteilungsprincip hinzu. Die drei Klammerausdrücke, nämlich \((U_1U_2),(U_1U_3)\) und \((U_2U_3)\), construiren wiederum eine Gruppe, und es bieten sich zunächst vier Haupttypen dar, je nachdem diese Untergruppe der gegebenen drei-, zwei-, ein- oder endlich null-gliedrig ist. Weitere Unterteilungen richten sich nach der Natur der zugehörigen Bahncurven. Im ganzen ergeben sich 16 verschiedene Typen (und zugleich kanonische Formen) dreigliedriger Gruppen. Diese Verhältnisse erhalten eine sehr durchsichtige geometrische Deutung, wenn man jeder \(I.\;T\) der linearen Schar \(c_1U_1+c_2U_2+c_3U_3\) einen Punkt der Ebene mit den homogenen Coordinaten \(c\) zuordnet. Die Klammeroperation deckt sich dann mit der polaren Verwandtschaft in Bezug auf einen festen Kegelschnitt. Schon mehrmals ist darauf hingewiesen, wie zweckmässig es sein kann, das Studium von Differentialgleichungen zweiter Ordnung zurückzuführen auf dasjenige linearer partieller Differentialgleichungen. Der vermittelnde Gedanke liegt in einer geeigneten Umformung des oben berührten Kriteriums dafür, dass eine Differentialgleichung zweiter Ordnung die eingliedrige Gruppe \(Uf\) zulässt. Sobald nämlich die Differentialgleichung in aufgelöster Form vorliegt: \(y''=\omega(x,y,y')\), so erweist sich das gemeinte Kriterium identisch mit dem anderen, dass die lineare partielle Differentialgleichung \[ Af\equiv \frac{\partial f}{\partial x}+y'\;\frac{\partial f}{\partial y}+\omega\;\frac{\partial f}{\partial y'}=0 \] die einmal erweiterte \(I.\;T\) \(U'f\) gestattet. Nach einem allgemeinen Satze gestattet aber, wie schon erwähnt, eine lineare partielle Differentialgleichung \(Af\equiv 0\) (in \(n\) Variabeln) eine \(I.\;T\) \(Uf\) dann, und nur dann, wenn sich der Klammerausdruck \((UA)\) von \(Af\) nur um einen bloss noch von den Variabeln abhängenden Factor unterscheidet. Ein anderer Satz sagt aber aus, dass dann im Falle dreier Variabeln die beiden Differentialgleichungen \(Uf=0\) und \(Af=0\) eine gemeinsame ``Lösung'' \(f\) besitzen (oder ein sogenanntes vollständiges System bilden). Nach einem von du Bois-Reymond herrührenden Principe lässt sich endlich eben diese gemeinsame Lösung \(f\) durch Integration einer gewöhnlichen Differentialgleichung erster Ordnung zwischen zwei Veränderlichen bestimmen. Zum Schlusse sei noch ein fundamentaler Satz angeführt, der den Zusammenhang zwischen der Kenntnis mehrerer \(I.\;T\) einer linearen partiellen Differentialgleichung (in \(n\) Variabeln) \(Af=0\) und den Lösungen der letzteren aufdeckt. Man kann die vorgelegten \(I.\;T\) derart ergänzen, dass eine Anzahl derselben durch die übrigen und durch \(Af\) linear ausdrückbar ist. Die Coefficienten dieser Darstellungen (event. die Coefficienten von \(Af\) selbst) sind Lösungen von \(Af=0\) (wenn sie sich nicht in speciellen Fällen auf Constanten reduciren). Die Herstellung der fraglichen Ausdrücke geht auf rein algebraischen Wege, nämlich mittelst Determinantenbildung, vor sich. Die im Buche eingeführten Benennungen, die alle von Hrn. Lie herrühren, sind als durchaus zutreffende zu bezeichnen. Eine kleine Aenderung möchte Referent vorschlagen: wenn bei einer linearen homogenen Relation zwischen Functionen (oder auch Symbolen \(Uf\)), mögen nun die Coefficienten constant oder aber selbst von den Veränderlichen abhängig sein, beidemal von ``linearer Abhängigkeit'' schlechtweg gesprochen wird, so möchte es sich empfehlen, beide Fälle durch den Zusatz ``eigentlich'' resp. ``uneigentlich'' zu trennen. Von sonstigen Einzelheiten sei nur noch erwähnt, dass die auf S. 55 vorgenommene Integration, entgegen der Behauptung des Textes, mit einer bereits früher, auf S. 33 entwickelten, sachlich übereinstimmt. Es besteht die begründete Hoffnung, dass durch eine derartige ausführliche und möglichst elementar gehaltene Darstellung der Lie'schen Theorie, wie sie der vorliegende Band als der erste grösseren Werkes bietet, der Gegenstand selbst eine stets zunehmende Verbreitung im mathematischen Publicum erfahren wird. Dann werden sich auch Mittel und Wege finden, welche dazu dienen, die vor der Hand noch bestehende Kluft zwischen den mehr formalen Methoden Lie's einerseits und den Methoden der Functionentheoretiker andererseits zu überbrücken.
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